Uruguay ist in Sachen direkte Demokratie die Schweiz Lateinamerikas. In keinem der umliegenden Länder gibt es mehr Abstimmungen mit bindendem Charakter. Die Hintergründe dieses kleinen Demokratie-Wunders erklärt Rafael Piñeiro.
Wir sprachen mit dem Politikprofessor, der in Montevideo lehrt, im Rahmen einer Demokratie-Tagung im deutschen Wuppertal.
swissinfo.ch: Wo liegt der Ursprung der direkten Demokratie Uruguays? Sind die Voraussetzungen in einen grösseren Kontext in der lateinamerikanischen Demokratiebewegung einzureihen?
Rafael Piñeiro: Uruguay war das erste lateinamerikanische Land mit einer direkten Demokratie. Die Volksinitiative wurde 1934 verfassungsmässig institutionalisiert. Das fakultative Referendum kam 1967.
Tatsächlich ist die direkte Demokratie Uruguays Teil einer grösseren verfassungsmässigen Entwicklung, die ganz Lateinamerika betraf. Dabei liess man sich vom „Schweizer Modell“ inspirieren. Aber nicht nur in Sachen direkte Demokratie, sondern auch, was das Regierungssystem anbetrifft.
In verschiedenen Perioden gab es sogenannte „colegiados“, die das Mehrparteien-Regierungssystem der Schweiz aufnahmen. José Batlle y Ordóñez, der von 1903 bis 1907 Präsident von Uruguay war, reiste mehrmals in die Schweiz und war tief beeindruckt vom schweizerischen System. Er trug diese Ideen zurück in sein Heimatland und löste damit Verfassungsdiskussionen aus, aus denen dann die direkte Demokratie hervorging.
swissinfo.ch: Welche Effekte hat die direkte Demokratie auf das politische System und die politische Kultur des Landes?
Rafael Piñeiro Rodríguez ist Professor an der Katholischen Universität Uruguay in Montevideo. Der 41-Jährige ist auch Vorstandsmitglied der „Latin American Political Science Association“. Er forscht über demokratischen Entwicklungen in Lateinamerika und die verschiedenen Formen von Bürgeraktivismus.Infobox Ende
R.P.: Die direkte Demokratie führt zu einer Synchronisierung des Willens der Parteien und dem ihrer Wähler. Wenn die Politiker sich zu weit vom Wählerwillen entfernen, laufen sie die Gefahr, durch ein Referendum ausgebremst zu werden.
swissinfo.ch: In der Schweiz werden Volksinitiativen oft von Parteien oder parteinahen Akteuren lanciert. Diese verwenden sie oft als ein PR-Instrument, um die politische Agenda zu dominieren. Dies im Widerspruch zur ursprünglichen Idee, politische Minderheiten einzubinden. Wie sieht es Uruguay aus?
R.P.: Die Parteien nutzen die direkte Demokratie programmatisch, nicht strategisch. Weder linke noch rechte Parteien nutzen die direkte Demokratie für politische Stimmungsmache. Das ist in Uruguay kein Thema.
Von Sandro Lüscher, Wuppertal
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