Verheerende Bilanz der Waldbrände in Zentral- und Südchile. Soziale Bewegungen: Regierung muss Dominanz forstwirtschaftlicher Großunternehmen eindämmen
Santiago. Nach drei Wochen schwerer Waldbrände in Chile ist die Situation nach Einschätzung der Regierung unter Kontrolle. „Der Notstand geht zu Ende. Inzwischen gibt es keine nennenswerten neuen Brandherde“, so Präsidentin Michelle Bachelet in einer offiziellen Stellungnahme. Erst in den letzten Tagen haben es die chilenischen Einsatzkräfte mithilfe privater Spenden und internationaler Hilfe, leichter Temperaturminderungen und einsetzenden Regenfällen geschafft, Herr der Lage zu werden. Allerdings konnten bis vergangenen Donnerstag von den 148 Bränden laut Angaben der staatlichen Behörden lediglich neun gelöscht werden; 64 konnten kontrolliert werden, und 75 sind nach wie vor außer Kontrolle.
Bisherige Bilanz des stärksten Waldbrandes in der Geschichte des südamerikanischen Landes: 370.000 Hektar zerstörtes Land in Zentral- und Südchile ‒ das entspricht etwa der vierfachen Fläche Berlins. Seit Juli 2016 sind es bereits 580.000 Hektar. Nach Angaben des Innenministeriums kamen bislang elf Menschen ums Leben, über 1.600 Häuser wurden zerstört, 4.000 Menschen obdachlos. Die finanziellen Schäden belaufen sich bislang auf umgerechnet mehr als 300 Millionen Euro.
Um die Auslöser der Waldbrände ranken sich zahlreiche Gerüchte ranken: In den sozialen Netzwerken finden sich Anschuldigungen gegen Mapucheaktivisten, „Ökoterroristen“ und Pyromanen über die vermutete Fahrlässigkeit der Elektrizitätswerke in der Wartung ihrer Stromleitungen und Vorwürfe gegen die forstwirtschaftlichen Großunternehmen, sie würden durch Brandstiftung Versicherungsbetrug betreiben und die Grundstückspreise der verbrannten Flächen für spätere Käufe drücken. Keine dieser Beschuldigungen konnte bislang belegt werden. Allerdings wird davon ausgegangen, dass die meisten Brände aufgrund menschlichen Handelns entstanden sind. Am 29. Januar hatte Bachelet die Festnahme von 43 mutmaßlichen Brandstiftern bekanntgegeben. Ihnen droht eine Haftstrafe von bis zu 20 Jahren.
Die bisherigen Reaktionen der Regierung gehen vielen sozialen Bewegungen nicht weit genug. Sie machen das deregulierte Wirtschaften der Forstunternehmen für die katastrophalen Ausmaße der Brände verantwortlich und fordern gesetzliche Schritte, um gegen die weitere Verbreitung der Monokulturen, insbesondere Eukalyptus- und Kiefernplantagen, vorzugehen.
Auch die große Mehrheit der Wissenschaftler, die sich vor dem Hintergrund der aktuellen Waldbrände zu Wort gemeldet haben, macht die Monokulturen verantwortlich. So warnt Olga Barbosa vom Wissenschaftsinstitut Sociedad Ecológica de Chile: „Wenn wir nichts dagegen machen, werden in Chile fast ohne unser Zutun nur noch Eukalyptus- und Kiefernbäume wachsen.“ Das liege daran, dass sich die beiden Baumarten, die seit den 1970er Jahren intensiv in Chile gepflanzt werden, im Gegensatz zu einheimischen Arten im Lauf der Evolution an das häufige Auftreten von Bränden angepasst haben und im Gegensatz zu den angestammten Baumarten danach schnell wieder wachsen. Während die Aufforstung einheimischer Wälder lange dauert, stellt sich die Anpflanzung von Eukalyptus und Kiefern als wirtschaftlicher heraus. Die Verdrängung einheimischer Wälder durch Monokulturen habe schwerwiegende ökologische Folgen: Da sie extrem viel Nährstoffe und Wasser brauchen, tragen sie zur Bodenerosion bei. Die Biodiversität werde zerstört, das Wasser durch den Einsatz chemischer Stoffe verschmutzt. Das Ergebnis seien „grüne Wüsten“, die ihren Besitzern hohe Erträge bringen, jedoch die ökologische Krise des Landes verschlimmern und zudem aufgrund der trockenen Böden und leicht entzündlichen Bäumen die Waldbrandgefahr erhöhten.
Von Birte Keller
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