Purer antidemokratischer Machtkampf in Brasilien

Das Land ist verfangen in Korruption – und einer gefährlichen Zerstörung der Demokratie

Brasiliens vielschichtige und tiefgreifende Krise findet bei westlichen Medien verstärkt Aufmerksamkeit. Was verständlich ist, denn schließlich steht Brasilien, was Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft angeht, an fünfter respektive achter Stelle weltweit; die zweitgrößte Stadt des Landes, Rio de Janeiro, ist Gastgeber der diesjährigen Olympischen Sommerspiele. Aber ein Großteil westlicher Aufmerksamkeit spiegelt nur Brasiliens einheitlich Oligarchie-dominierte und undemokratische Medienlandschaft wieder und ist daher irreführend, ungenau und unvollständig. Dies insbesondere dann, wenn die Autoren mit dem Land nur wenig vertraut sind (wobei zahlreiche in Brasilien stationierte westliche Reporter hervorragende Arbeit leisten).

Demonstration gegen Dilma Rousseff und Lula da Silva am 13. März in São Paulo
QUELLE: NIKLAS FRANZEN


Brasiliens vielgestaltige Bedrängnis kann kaum überschätzt werden. In einer Meldung vom 16. März gab der Chef des brasilianischen Büros der „New York Times“, Simon Romero, seinen Eindruck, wie schlimm es steht:

„Brasilien befindet sich in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Ein ausgedehntes Netz von Bestechung hat die nationale Ölgesellschaft lahm gelegt. Die Zika-Epidemie verursacht Verzweiflung im gesamten Nordosten. Und kurz bevor die Welt zur Sommerolympiade nach Brasilien kommt, kämpft die Regierung ums Überleben; das ganze politische System ist eingehüllt in einen Skandal.“

Brasiliens beispielloser politischer Aufruhr hat Ähnlichkeit mit dem von Trump verursachten politischen Chaos in den USA: Ein außer Kontrolle geratener Zirkus eigener Art mit Instabilität und dunklen Kräften, aus dem es keinen Ausweg mehr zu geben scheint. Ein bislang abwegig erscheinendes Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff wird immer wahrscheinlicher.

Im Unterschied zu den USA sind die brasilianischen Wirren aber nicht auf einen einzigen Politiker beschränkt. Im Gegenteil, betont Romero: „Beinahe jede Ecke des politischen Systems ist vom Skandal erfasst.“ Das betrifft nicht nur Rousseffs gemäßigt linke und mit Korruption durchsetzte Arbeiterpartei (die PT), auch der überwiegende Teil der Zentrums- und Rechtsaußen-Kräfte in Politik und Wirtschaft, die vereint am Werk sind, die PT zu zerstören, versinken in Ungesetzlichkeit. Also, mindestens ebenso korrupt und kriminell wie die PT sind diejenigen, die sie unterminieren, um deren demokratisch errungene Macht an sich zu reißen.

In ihren Berichten aus Brasilien betonen westliche Medien die immer stärker werdenden Straßenproteste mit Forderungen nach einem Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff. Sie schildern diese Proteste idealisiert und Comic-artig voller Bewunderung als inspirierende Volkserhebung gegen ein korruptes Regime. Chuck Todd von NBC News zitiert am 17. März den Tweet „Das Volk gegen die Präsidentin“ von Ian Bremmer (Eurasia Group) – eine Darstellung, die mit dem übereinstimmt, was Brasiliens Anti-Regierungsmedien wie etwa Globo 1 kolportieren:

Eine solche Sicht der Dinge ist zumindest übermäßig vereinfacht, oder wahrscheinlicher noch, ist sie grobe Propaganda, um eine linke Partei, die bei den Eliten der US-Außenpolitik immer schon unbeliebt war, zu schädigen. Diese Sicht ignoriert historische Zusammenhänge der brasilianischen Politik und, wichtiger noch, eine Reihe kritischer Fragen: Wer steht hinter den Protesten, wie repräsentativ sind die Protestierenden für die brasilianische Bevölkerung, und was sind ihre Absichten?

Die Demokratie in Brasilien ist jung. Im Jahr 1964 wurde die demokratisch gewählte linke Regierung durch einen Militärputsch gestürzt. Sowohl in der amerikanischen Öffentlichkeit als auch im Kongress bestritten US-Offizielle vehement, irgendeine Rolle dabei gehabt zu haben, aber – fast überflüssig zu sagen – später auftauchende Dokumente bewiesen die direkte US-Unterstützung bei entscheidenden Aspekten des Coups.

Von Glenn Greenwald, Andrew Fishman, David Miranda
Übersetzung: Herwig Meyer
The Intercept,
weiterlesen bei amerika21 es lohnt sich wenn man mal eine andere Sichtweise der Dinge lesen möchte.

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