Drei Kilo Dulce de leche essen die Menschen in Südamerika pro Jahr. Die Süßigkeit ist dort fast schon eine Frage nationaler Identität.
Das Nutella Lateinamerikas: Drei Kilo Dulce de leche essen die Menschen in Südamerika pro Jahr
Man muss es einfach mal selbst versucht haben. Milch. Zucker. Vanille. Für eine echte „Dulce de leche“ kochen die Zutaten stundenlang, bis sie die perfekte Konsistenz haben. Nicht zu flüssig, nicht zu fest, irgendwo zwischen Honig und Schokocreme, so fließt die süße Köstlichkeit langsam und zäh vom Löffel.
Dulce de leche ist so etwas wie das Nutella Lateinamerikas. Von Baja California im Norden Mexikos bis Patagonien im Süden Argentiniens ist die sämige Masse zu haben: als Brotaufstrich, Tortenfüllung oder in kleinen süßen Teilchen. Übersetzt heißt Dulce de leche „Süßigkeit aus Milch“ oder einfach: Milchkonfitüre. Argentinier essen viel Milchkonfitüre, sogar sehr viel, im Durchschnitt pro Kopf und Jahr rund drei Kilo. Nur um diese Zahl besser einordnen zu können: Jeder Deutsche verspeist im Jahr etwa ein Kilo Schokocreme der Marke „Nutella“. „Dulce de leche gehört in Argentinien einfach zum Alltag dazu, so wie Mate“, sagt Graciela dos Santos. Die Deutsch-Argentinierin lebt im bayerischen Regensburg und hat immer ein Glas der zuckersüßen Creme zu Hause.
Die Südamerikaner können zwischen mehr als 50 Marken wählen, mal in hübschen Gläsern, mal in Plastikbechern. Ob es „Chimbote“, „La Serenísima“ oder „San Isidro Labrador“ sein soll, ist reine Geschmacksfrage. Graciela aus Regensburg schwört auf „Havanna“. Die sei nicht so süß. Am liebsten aber kocht sie die Dulce selbst. Wie das geht, hat sie von ihrer Mutter gelernt. Von ihr weiß sie, dass es beim stundenlangen Kochen auf die ersten 15 Minuten ankommt und auf das richtige Gefühl.
Eine Frage nationaler Identität
Dulce de leche hat in Lateinamerika viele Namen. Für Bolivianer heißt sie „Manjar blanco“, für Venezolaner „Arequipe“ und für Mexikaner „Cajeta“. 2003 hat Argentinien sogar versucht, seine Dulce als Weltkulturerbe anzumelden. Ohne Erfolg übrigens, denn Uruguay legte Einspruch ein. Die Enttäuschung der Argentinier war groß. Mexiko kürte 2010 seine „Cajeta“ zum nationalen Nachtisch.
So ist die Dulce nicht nur eine süße Angelegenheit, sondern fast schon eine Frage nationaler Identität. Wo ihre Ursprünge liegen, ist zu einem Zankapfel geworden. Am Ende will jedes Land das erste gewesen sein, in dem die Creme gekocht wurde. Eine bekannte und immer wieder gern erzählte Legende stammt aus Argentinien und ist fast zu schön, um wahr zu sein: Die Köchin von Diktator Manuel de Rosas soll im Jahr 1829 einen Topf mit Milch und Zucker auf dem Feuer vergessen haben. Die karamellfarbene Creme, die sie nach stundenlangem Köcheln im Topf vorfand, soll der Diktator dann mit seinem Erzfeind Juan Lavalle bei Friedensverhandlungen verspeist haben. Eine hübsche Geschichte, der in Uruguay dennoch niemand so recht glauben möchte.
09.04.2016, von CLAUDIA KÖLBL
Dulce de Leche auf einem Löffel
© STOCKFOOD
Eine zähe Angelegenheit: Dulce de leche