Der kleine südamerikanische Staat Uruguay gehörte 2006 zu den ersten Ländern mit Rauchverbot. Der Zigarettenkonsum ging signifikant zurück. Doch seit 2010 fordert der Tabakkonzern Philip Morris 25 Millionen Dollar Schadenersatz. Dahinter stecke eine weitreichende Strategie, vermuten Wissenschaftler.
Der von Palmen gesäumte Boulevard Artigas ist eine der Hauptverkehrsachsen von Montevideo, der Hauptstadt Uruguays. Eine junge Frau in marineblauem Sakko und gleichfarbiger Hose drückt ihre Zigarette mit der Schuhsohle auf dem Bürgersteig aus. Marisol Baresi, dichtes schwarzes Haar, grüne Augen und Sommersprossen, ist Krankenpflegerin. Zum Rauchen in der Mittagspause muss sie auf die Straße gehen. Ihre Kollegin Estela erzählt, dass sie mit dem Rauchen aufgehört hat, als bei ihr eine Krebserkrankung festgestellt wurde. Marisol hat nie versucht aufzuhören.
Eine Zigaretteninstallation soll 2010 im uruguayanischen Montevideo vor den Gesundheitsgefahren des Rauchens warnen. (imago / Xinhua) |
„Ich bin jetzt 39, und habe mit 23 zu rauchen angefangen. Erst nur in Gesellschaft, mal ein paar Züge, und plötzlich stellte ich fest, dass ich zehn Zigaretten pro Tag rauchte. Als ich mit 23 schwanger wurde, war ich, glaube ich, noch nicht so richtig abhängig, und während der Schwangerschaft habe ich gar nicht geraucht. Aber als mein Sohn ein Jahr alt war, habe ich wieder angefangen. Ich denke, ich werde irgendwann aufhören. Ich hoffe, ich brauche nicht erst so ein schreckliches Erlebnis.“
Estela kommentiert das mit einem Lächeln, das zeigt, dass ihre Zähne immer noch vom Tabak verfärbt sind. Sie ist 56 und hat früher 80 Zigaretten am Tag geraucht. Vor sieben Jahren stellte eine Krebsdiagnose sie vor die Wahl: weiter rauchen oder weiter leben.
„Wenn ich Zigarettenrauch rieche, juckt es mich noch immer. Ich habe auch in der Schwangerschaft geraucht. Mal hier ein paar Züge, dann wieder eine Pause, ich habe es dann immerhin auf drei Zigaretten pro Tag reduzieren können. Meine Kinder haben Gott sei Dank keine Schäden. Aber es war einfach so: Ich konnte damals nicht aufhören!“
Wachsende gesellschaftliche Ablehnung von Rauchern
In Uruguay geht es in Gesprächen unter Kollegen, Freunden oder im Familienkreis oft ums Rauchen. Und es ist auch ein Topthema in der Politik. Das kleine Land gehört mit seiner Antitabakkampagne weltweit zu den Vorreitern der Bewegung. Zigaretten sind teuer, Warnungen auf den Schachteln obligatorisch, rauchfreie Zonen Vorschrift. Darüber hinaus finanziert der Staat sogar Entwöhnungskurse und lässt sein Antitabakprogramm wissenschaftlich begleiten. Die Zahl der Herzinfarkte ist zwischen 2005 und 2012 um 22 Prozent gesunken, die Zahl der Raucher im Alter von zwölf bis 17 ging von 31 auf zwölf Prozent zurück. Dafür ist der im vergangenen Frühjahr wiedergewählte Staatspräsident Tabaré Vázquez verantwortlich. Vor zehn Jahren, zu Beginn seiner ersten Amtszeit, erhob er den Kampf gegen das Rauchen zum zentralen Ziel staatlicher Politik. Er ist von Beruf Onkologe und lässt immer noch keine Gelegenheit aus, um über sein Herzensanliegen zu sprechen, wie hier in seiner Grußbotschaft am 8. März zum Internationalen Frauentag.
„Heute ist der Hauptfeind der Frauen – das muss einfach so deutlich gesagt werden – der Tabakkonsum. Und das ist nicht eine Obsession von mir, es ist Realität. In den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts war in Uruguay Lungenkrebs bei Frauen praktisch unbekannt. Und seitdem ist die Sterblichkeit durch Lungenkrebs bei Frauen alarmierend gestiegen. Statistisch gesehen sterben hier in Uruguay täglich mehr Frauen an Lungenkrebs, am Rauchen, als an AIDS, Tuberkulose, häuslicher Gewalt, Alkohol und Verkehrsunfällen zusammen. Sie tötet der Tabakkonsum.“
„Rauchen aufhören in einer Sitzung“ heißt es in einer Anzeige auf der Internetseite der Stadt Montevideo. Doktor Inés López de Pereira hat sie geschaltet. Die auf Nikotinsucht spezialisierte Psychiaterin – Anfang 50, runde John-Lennon-Brille – begleitet jeden Satz mit einer ausdrucksvollen Geste. Die von ihr entwickelte Methode setzt bei dem System von Glaubenssätzen und Automatismen an, die der Grund dafür sind, dass der Raucher die Zigarette mit bestimmten Orten, Momenten und Gefühlen verknüpft.
„Es geht um eine Änderung der Einstellung. Ich sage nie, sie sollten aufhören zu rauchen. Das weiß ja jeder. Ich rede von dem Gefühl der Freiheit, dass Raucher erleben, wenn sie die Sklaverei beenden, denn es ist eine Sklaverei. Man ist 24 Stunden am Tag abhängig. In den Workshops erzählen mir Leute: ‚Es ist drei Uhr morgens. Ich wache auf. Es regnet. Ich habe keine Zigaretten, und ich muss raus und mir welche holen.‘ Ein Gefühl der Panik tritt auf. Ich rede auch viel von Etiketten: ‚Wenn Sie das Etikett Raucher haben, rauchen Sie. Und wenn man das Etikett Nichtraucher hat, raucht man nicht.‘ Dann gebe ich den Leuten den Rat, sich im Spiegel anzuschauen und sich mal unter dem Etikett Nichtraucher einzuordnen.
Ein Mann raucht eine Zigarette. (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)Die Zahl der Raucher ging in Uruguay nach dem Rauchverbot im öffentlichen Raum von 2006 signifikant zurück. (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
Dank der Antitabakpolitik der Regierung hat die Zahl der Anfragen zugenommen. Nicht nur ältere Leute, die schon jahrzehntelang rauchen, sondern auch Jugendliche wollen mit dem Rauchen aufhören. Denn Raucher sehen sich in Uruguay wachsender gesellschaftlicher Ablehnung gegenüber. Zur Nachsorge nutzt Doktor López soziale Netzwerke wie Facebook. Dort feiern Gruppenmitglieder zusammen jede rauchfreie Woche und posten Selfies mit Freunden und Familie, ohne Zigarette. Doktor Lopez liest eine SMS vor, die sie tags zuvor von einer 52-jährigen Frau erhalten hat, die früher drei Schachteln pro Tag rauchte:
„Sie schreibt: ‚Hallo, wie geht es Ihnen? Ich drehe durch, wenn jemand neben mir raucht. Ich habe Albträume … Letzte Nacht habe ich geträumt, dass ich meinen Neffen Zigarren holen schicke, weil ich vergessen habe, das ich nicht mehr rauche. Und er hat mir Mentholzigaretten mitgebracht. Ich nahm eine zwischen die Lippen, ich sagte mir: Ein Zug wird nicht so schlimm sein. Aber dann habe ich sie weggeworfen.‘ Das alles ohne Punkt und Komma. ‚Was würde Freud zu meinem Traum sagen?‘ Dann habe ich geantwortet: ‚Er würde staunen, wie tief sich die Furchen in die Psyche eingegraben haben.‘ Darauf sie: ‚Über eines bin ich froh: Ich rauche nicht einmal im Traum, ist das nicht toll?'“ (lacht)