Verkauf von Agrarland an ausländische Unternehmen soll legalisiert werden. Vertreibung von Kleinbauern befürchtet. Landlosenbewegung kündigt Besetzungen an
Brasília. Die De-facto-Regierung von Brasilien unter Michel Temer forciert den Ausverkauf des Landes. Der Verkauf von Agrarland an ausländische Unternehmen soll demnächst erlaubt werden. Damit wird es ausländischen Firmen oder Privatpersonen möglich sein, Flächen bis zu 100.000 Hektar zu kaufen sowie weitere 100.000 Hektar zu pachten. Bisher war dies gesetzlich nicht gestattet und von der linksgerichteten Vorgängerregierung verhindert worden.
Über den Gesetzentwurf wird in der kommenden Woche der Kongress entscheiden. Seine Zustimmung gilt als sicher. Kritiker hingegen bezeichnen das Gesetz als „zweiten Schritt des Staatsstreiches von 2016“ und wollen im Falle einer Verabschiedung zum Verkauf stehende Flächen besetzen.
Die Regierung verspricht sich von dem Gesetz, Investitionen in Milliardenhöhe ins Land zu holen. Der Abgeordnete Newton Cardoso Júnior von der rechtskonservativen Regierungspartei PMDB erwartet, dass ein Ende der Einschränkungen Brasilien eine Investitionsflut in Höhe von 50 Milliarden Reais, etwa 15 Milliarden Euro, bescheren könnte. Von den Verkäufen ausgenommen seien Grenzregionen sowie Flächen in der Amazonasregion, so Cardoso. Auf der Ausnahme der Grenzgebiete hatte die Armeeführung bestanden.
Ferner will es die Regierung heimischen Unternehmen leichter machen, an Kredite internationaler Geldgeber zu gelangen. Insbesondere Agrarminister Blairo Maggi, selbst Magnat im Soja-Geschäft, zeigte sich als früher Verfechter der Liberalisierung. „Dass Ausländer heutzutage kein Land kaufen können, hat Auswirkungen auf die Vergabe von Krediten. Denn Banken aus dem Ausland, die hier investieren wollen, können Ländereien nicht als Hypothek in Anspruch nehmen“, so Maggi im Interview für den Estado de São Paulo. Besondere Hoffnungen mache sich Maggi auf Investitionen aus China, mit dessen Regierung er bereits in Verhandlungen stehe. Bis 2023 will die Regierung in Brasília die Agrarflächen um acht bis 20 Prozent ausweiten.
Sollte der Ausbau großflächiger Landwirtschaft in diesen Dimensionen erfolgen, befürchten Kritiker eine Kette von Problemen. Der Zustrom ausländischen Kapitals werde die Preisentwicklung von Land und landwirtschaftlichen Produkten erheblich beeinflussen, so Luiza Dulci, Mitarbeiterin des Abgeordneten der Arbeiterpartei PT und früheren Ministers für ländliche Entwicklung, Patrus Ananias. Ferner sei die Vertreibung tausender Kleinbauern und die Intensivierung von Landkonflikten zu erwarten.
Laut Alexandre Conceição von der Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Sem Terra) bedeutet „mehr Land für das Agrarbusiness weniger Land für kleinbäuerliche Landwirtschaft, weniger Nahrungsmittel und mehr Inflation“. Derzeit ist der brasilianische Staat der größte Eigentümer von Land, auf dessen Flächen Millionen Landlose ihren Lebensunterhalt erwirtschafteten. Sollte der Staat seine Flächen infolge der steigenden Nachfrage und dem erwarteten Preisanstieg veräußern, könnte das zur Vertreibung eines nicht geringen Anteils der Landbevölkerung führen. Da Kleinbauern zu einem Großteil für die Produktion von Nahrungsmitteln verantwortlich sind, sei dadurch ein Anstieg der Nahrungsmittelpreise im Land zu erwarten.
Angesichts dieser Tragweite bezeichnete Gilberto Vieira vom Missionsrat der Indigenen (Conselho Indigenista Missionário, Cimi), das Gesetz als „zweiten Schritt des Staatsstreiches von 2016“. Viera sprach von einer „Säuberung“ des Landes von kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Die Vertreibung könnte einen Zustrom in die ohnehin überfüllten Städte zur Folge haben, so der Sprecher des Cimi.
Von Mario Schenk
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